Der Unfall und wie es dazu kam

Eine fröhliche Gruppe von 7 jungen Leuten traf sich Freitagabend, den 13. Juni 2003, auf der Insel Ocracoke, um dort zu campen und eine schöne Zeit zu verbringen. Juliane kam mit einem Bekannten, Eddie Wheatly, erst später nach. Sie hatte auf ihn gewartet, da er nicht früher Feierabend machen konnte. Er hatte sie gefragt, ob sie auf ihn warten würde.

In den Dünen am Strand wurden Zelte aufgebaut, es wurde gegrillt, getrunken, erzählt und gelacht. Um sich ein wenig die Zeit zu vertreiben fuhren einige von ihnen auch mit den Autos am Strand entlang. Eddie soll sich schon während dieser Zeit „bescheuert" benommen haben. Er fuhr in den Dünen (was strengstens verboten war), blieb mit seinem Jeep im Sand stecken und wurde durch die Hilfe von Mexikanern wieder daraus befreit (statt sich zu bedanken, beschimpfte er diese aber), fuhr zu einer anderen Party am Strand und suchte dort Streit.

Als er wieder bei seinem Camp ankam und die anderen hörten, dass Eddie bei der anderen Party einen Streit provoziert hatte, entschlossen sie sich woanders hin zu fahren. Sie befürchteten, dass die Gäste der anderen Party kommen und sich mit ihnen prügeln würden. Inzwischen war Mitternacht vorbei, es war Vollmond und wolkenlos.

Eigentlich wollte niemand in Eddies Auto steigen, da sie aber nur mit 2 Autos dort waren, blieb einigen gar nichts anderes übrig, als in Eddies Wagen zu steigen. Direkt hinter Eddie saß Juliane. Sie waren alle nicht angeschnallt. Eddie drehte die Musik voll auf, gab Gas und fuhr dem anderen Jeep davon. Er raste vom Camp Richtung Süden auf dem harten Sand, nahe der Brandung entlang und auf dem Tacho konnte man sehen, dass er fast 80 km/h fuhr. Der Beifahrer erzählte später, dass alle erschrocken waren, Angst hatten, ihm zuriefen, er möge doch bitte langsamer fahren. Doch – er tat es nicht, sie hatten das Gefühl, dass es ihm Spaß machte, ihnen Angst einzujagen. Plötzlich war vorn nur noch der Ozean zu sehen. Eddie riss das Steuer herum, doch es war zu spät. Der Jeep überschlug sich und landete kopfüber im Wasser. Juliane wurde aus dem Wagen geschleudert und Mark (der Beifahrer) wurde mit dem Kopf im Armaturenbrett eingeklemmt. Dem Fahrer und einem weiteren Insassen war nichts passiert, sie zogen Juliane aus dem Wasser.

Inzwischen war der andere Jeep an der Unfallstelle eingetroffen. Lee (der Freund von Julianes bester Freundin Aubry) versuchte noch Julianes Leben durch Mund-zu-Mund-Beatmung zu retten – aber nichts konnte ihr mehr helfen.

Während Juliane am Strand lag und ihre Freunde dem hilflos gegenüberstanden, passiert noch etwas für mich Unvorstellbares.

Eddie, der Fahrer des Jeeps, besitzt doch die unverschämte Frechheit, jemanden zu suchen, der die Schuld für den Unfall auf sich nehmen soll, da er schon mehrmals wegen Trunkenheit am Steuer bei der Polizei aufgefallen war.

Von den Gasteltern erfuhr ich dann erst viel später, dass Eddie die anderen überreden wollte zu sagen, dass JULIANE den Jeep gefahren wäre und den Unfall verursacht hätte.

Ich war geschockt – wie kann man in so einer Situation auf derartige Gedanken kommen. Wie kann man nur daran denken die Schuld jemanden zuschieben zu wollen, der im Sterben liegt, nur damit man selbst nicht mit strafrechtlichen Konsequenzen konfrontiert wird. Er war ja auch kein „Ersttäter", wusste vielleicht, was auf ihn zukommen würde. Und da war dies in seinen Augen vielleicht die beste Lösung - das Mädchen liegt im Sterben, warum soll ich dann auch noch büßen müssen. 

Das finde ich eigentlich am Abscheulichsten. Durch seine Schuld liegt ein Mädchen am Strand im Sterben und er denkt nur an sich, wie er seine eigene Haut retten kann. Erst hat er Spaß daran, alle in Angst und Schrecken zu versetzen und wenn dann jemand hilflos am Boden liegt, man noch nicht weiß, wie schlimm es um ihn bestellt ist, wie man ihm vielleicht noch helfen kann, hat er nur Gedanken für sich übrig, wie er am Besten aus der ganzen Sache herauskommt.

Zu Anfang dachte ich immer noch, Unfälle passieren immer wieder und zu jeder Zeit, oftmals kann niemand etwas dafür, ein kurzer Moment der Unachtsamkeit, aber hier zeigt sich, es hätte eindeutig vermieden werden können. Juliane hätte noch am Leben sein, unter uns weilen können.

 

 

Wie wir von dem Unfall erfuhren

Es war Samstagvormittag und ich war in Tränen aufgelöst, aber nicht wegen Juliane. Davon wussten wir ja noch nichts. Wir hatten für 9.00 Uhr den Tierarzt bestellt, um unseren schwerkranken 9-jährigen Hund Benny einzuschläfern zu lassen. Wir hingen alle sehr an ihm und ich war sehr traurig über seinen Tod, überlegte mir auch schon, wie ich es Juliane am Telefon so schonend wie möglich erzählen könnte.

Gegen 10.30 Uhr klingelte dann das Telefon und es meldete sich eine junge Frau aus Amerika. Sie war aufgeregt und teilte mir mit, dass Juliane einen Verkehrsunfall hatte und es nicht gut aussieht. Sie wollte von mir wissen, ob ich eine Notfall-Nummer von der deutschen Austauschorganisation hätte, über die Juliane nach Amerika vermittelt wurde. Ich kannte aber keine Notfall-Nummer. Ich solle am Telefon warten, sie würde sich wieder melden.

Zuerst dachte ich, die meldet sich aber reichlich spät bei Dir (Juliane hatte Ende April schon einen Autounfall, bei dem sie sich ein Bein brach und das andere Bein verstauchte. In der Zwischenzeit war der Bruch verheilt und der Gips seit einigen Tagen ab, sie hatte nur noch ein paar Probleme beim Laufen). Dann wurde mir aber schlagartig bewusst, dass schon wieder ein Unfall passiert sein musste.

Ich war wie gelähmt, traute mich nicht vom Telefon weg – sie wollte sich ja wieder melden. Sie rief aber nicht an. Das machte mich fast wahnsinnig, dieses Warten und nichts wissen, nur raten, was denn passiert sein könnte, wie es meinem kleinen Liebling geht, ob es wirklich so schlimm ist, sie vielleicht im Koma liegt, vielleicht gerade operiert wird.

14.00 Uhr hielt dann ein Polizeiauto vor unserem Haus und 2 Polizisten teilten uns mit, dass unsere Tochter bei einem Verkehrsunfall in der Nacht vom 13. zum 14. Juni tödlich verunglückte.

Die Polizeistation erhielt ein Fax von der Ranger-Station aus Ocracoke, mit der Bitte, die Familie der Verstorbenen zu informieren und ihnen ihr Beileid auszusprechen. Ein vorläufiger, kurzer Bericht über den Unfall war beigefügt. Daraus konnte man nur ersehen, dass der alkoholisierte Fahrer eines Jeep die Kontrolle über das Fahrzeug verlor, ins Schleudern geriet, sich überschlug und ca. 14 m vom Strand entfernt, umgedreht im Wasser lag. Juliane befand sich auf dem Rücksitz und wurde aus dem offenen Wagen geschleudert. Der Fahrer wurde inhaftiert und es würden weitere Ermittlungen durchgeführt werden.

Zuerst dachten wir, Juliane wäre ertrunken – es war einfach zu schrecklich, eigentlich nicht vorstellbar, dass unser kleiner Schatz so qualvoll ihr Leben beenden musste. Das durfte, konnte doch einfach nicht sein.

Einige Tage später erfuhren wir dann bei einem Gespräch mit der Pathologin, dass Juliane verschiedene innere Verletzungen hatte, der rechte Lungenflügel abgerissen wurde und sie sich, als sie aus dem Wagen geschleudert wurde, das Genick gebrochen hatte. Sie soll sofort tot gewesen sein. Das war ein ganz kleiner Trost für uns zu wissen, dass sie nicht qualvoll sterben musste, sie nichts mehr gespürt hat.

Da ich von Julianes Vater geschieden bin, fragten die Polizisten, ob wir ihren Vater informieren möchten oder ob sie das machen sollten.

Ich konnte das einfach nicht. Ich war ja selbst viel zu sehr geschockt, konnte es nicht fassen, nicht begreifen, war vollkommen hilflos. Wie sollte ich da ihrem Vater, der Juliane auch über alles liebte, sagen, dass sie tot ist. Es ging einfach nicht. Die Polizisten verabschiedeten sich kurze Zeit danach und wollten dann gleich Julianes Vater aufsuchen. Später erfuhren wir, dass sie ihn am Samstag nicht erreichen konnten, ihm erst am Sonntag die schreckliche Nachricht überbringen konnten.

Ich weiß nicht mehr, was dann genau passierte, kann mich nur bruchstückhaft daran erinnern, weiß nur, dass ich mich vor Schmerzen und Tränen krümmte, wollte es nicht wahrhaben.

Irgendwie musste die Familie benachrichtigt werden, aber wie???????

Zum Autofahren waren wir nicht in der Lage, am Telefon versagte die Stimme – aber wir mussten doch die anderen informieren.

Schließlich riefen wir meinen Schwager an, dass wir ihn dringend bei uns bräuchten, sagten aber nicht aus welchen Grund. Als er dann kam und als Erster davon erfuhr rutschte er fast an der Wand zusammen. Zum Glück sammelte er sich schnell wieder und fuhr uns zu meinen Eltern. Vorher rief er noch bei unserem Arzt an und bestellte ihn dorthin – wir wussten ja nicht, wie sie reagieren würden und meine 88jährige Oma lebte ja auch bei meinen Eltern, ihr mussten wir es schließlich auch sagen.

Es war einfach zu schrecklich – wie sagt man den Großeltern, dass ihr Enkelkind 14 Tage vor der lang ersehnten Rückkehr aus Amerika tödlich verunglückt ist, sie Juliane nie mehr wiedersehen, in die Arme schließen können? Ich kann mich einfach nicht mehr daran erinnern, wie wir es ihnen schließlich sagten, sehe nur noch, wie uns meine Eltern fassungslos anstarrten, in Tränen ausbrachen.

Der Arzt versorgte uns für den Anfang erst einmal mit Beruhigungsmitteln und schrieb Krankenscheine aus.

Am Sonntag kam dann Julianes Klassenlehrerin zu uns, nahm uns in die Arme, weinte mit uns und bot uns ihre Hilfe an. Wir waren und sind ihr sehr, sehr dankbar dafür.

Sie ist Englisch-Lehrerin und da unsere Englisch-Kenntnisse doch recht begrenzt waren, waren wir wirklich froh über ihr Angebot. Wir mussten davon auch redlich Gebrauch machen. Es waren Gespräche mit Julianes Gasteltern, amerikanischen Behörden, der Bundesstaatsanwaltschaft in Amerika und der Pathologin per Telefon zu führen. Briefe von Menschen, die Juliane in Amerika kennen und lieben gelernt hatten, trafen ein. Zeitungsberichte über den Unfall und den späteren Prozess mussten ebenso übersetzt werden wie die Gedenkseite der Schülerzeitung der East-Carteret-Highschool. Es kam zum regen E-Mail-Austausch mit den Gasteltern, einigen Lehrern und der Bundesstaatsanwaltschaft.

Aus Zeitungsberichten erfuhren wir, dass der Fahrer des Jeep nur kurze Zeit im Gefängnis war. Er durfte mit elektronischen Fußfesseln wieder nach Hause und dort auf den Termin der Gerichtsverhandlung warten.

Am Strand von Ocracoke